Immer mit der Ruhe, und dann mit’m Ruck
Immer mit der Ruhe, und dann mit’m Ruck

Immer mit der Ruhe, und dann mit’m Ruck

Es ist ein gemütlicher Samstagmorgen im November und ich sitze mit meinem Kaffee auf dem Sofa und überlege, was ich mit dem Tag anfange. Am Abend zuvor habe ich, wie die vergangenen Wochen fast täglich, die Anzeigen von Hochdachkombis durchgeschaut und bin auf einen zwei Jahre alten Berlingo gestoßen. Das war seit Wochen das erste Auto seiner Art, welches für mich innerhalb von zwei Stunden erreichbar war, um ernsthaft über eine Besichtigung nachzudenken. Bereits am Abend hatte ich den Autohändler angeschrieben und nach den Öffnungszeiten gefragt, jedoch noch keine Antwort erhalten. Auf Papas Hinweis hin, rief ich dort an, und keine 10 Minuten später war ich fertig angezogen und stürmte aus dem Haus. Ohne Frühstück, und auch der Kaffee stand noch unberührt neben dem Sofa.

Die Freude ist überall. Es gilt nur, sie zu entdecken.

Konfuzius

Auf der Fahrt zum Autohaus bin ich gedanklich noch einmal alles durchgegangen, was ich bisher für mich beschlossen hatte. Was ist mir wichtig, und in welchem Kontext bewege ich mich überhaupt? Wo liegt meine finanzielle Schmerzgrenze und was gibt der Markt überhaupt aktuell her?
Fühlt es sich gut an erst einmal „nur“ mit einem normalen Auto zu starten, keinen Camper oder Kastenwagen mit offensichtlichem Ausbaupotential?

Seit der Campermesse sind nun fast vier Monate ins Land gegangen. Sehr viel Zeit, in der ich viel recherchiert habe.
Ich habe Verkäufer angeschrieben, Testberichte gelesen und Verkaufsprotale täglich nach Angeboten durchsucht. Ich musste mir eingestehen, dass kleine, fertig ausgebaute Camper gut und gerne 40.000 € oder mehr kosten. Dann haben die Hochdachkombis vielleicht ein Aufstelldach, oder auch eine Campingbox fest eingebaut. Auf jeden Fall haben sie eine Lieferzeit von fast einem Jahr. Sind sie gebraucht und ausgebaut, haben sie oft viele hundert Kilometer auf dem Buckel, kosten aber nicht weniger, sind dafür aber sofortig verfügbar. Der Campermarkt ist aktuell dermaßen überlaufen, dass vieles überteuert angeboten werden kann. Die brüchigen Lieferketten von verschiedensten Herstellern, welche oftmals der langanhaltenden Pandemie zuzuschreiben sind, tragen ihrerseits zur Verknappung am Markt bei. Und Vanlife ist, eben auch durch die Pandemie, deutlich beliebter geworden als die Jahre zuvor. Es ist keine günstige Zeit, um ein Auto zu kaufen.
Und wie politisch die Zukunft von Diesel und Verbrennermotoren aussieht, ist ebenfalls unklar. Alternative Energien haben sich noch nicht flächendeckend durchgesetzt, und es gibt immer mehr Sperrzonen, in die Dieselfahrzeuge nicht hinein dürfen.

„Es ist besser, unvollkommene Entscheidungen durchzuführen, als beständig nach vollkommenen Entscheidungen zu suchen, die es niemals geben wird.“

Charles de Gaulle

Es ist schon mehrere Jahre her, dass ich zuletzt Auto gefahren bin. Und am Telefon sage der Verkäufer auch, dass das Auto aktuell keine Kennzeichen hat, und daher auch nicht Probe gefahren werden kann. Ich bin also in der vollen Überzeugung losgefahren, dieses Auto lediglich einmal anzuschauen. Vielleicht kann ich mich einmal rein legen, um zu gucken, ob es überhaupt von der Länge her funktionieren würde darin zu übernachten. Dann wüsste ich immerhin, ob ich den Berlingo von meiner Liste als Option streichen könnte. Viele Autohändler hatte ich im Vorfeld angeschrieben, alle sagten dass sie schon länger keinen Berlingo mehr im Angebot hätten, aufgrund der Lieferengpässe des Herstellers. Heute also nur gucken, nicht kaufen!

Entscheide lieber ungefähr richtig, als genau falsch.

Johann Wolfgang von Goethe

Am Auto angekommen bot mir der Autohändler an, mit dem Auto einen Runde auf dem Parkplatz zu fahren. Ich müsse nur auf dem Gelände bleiben, dann sei das kein Problem. Ich informierte darüber, dass mein Führerschein seit geraumer Zeit nur noch pro Forma im Portemonnaie steckte, woraufhin er sich neben mich setzte und mir die Grundlagen des Autofahrens erklärte, bevor wir dann gemeinsam einige Runden drehten. Als ich das Auto dann einfach nur vorwärts in eine Parklücke rollen wollte, hielt er mich zurück und nach einer kurzen Einweisung parkte ich den Wagen rückwärts, wie aus dem Lehrbuch, ein. Anschließend zeigte er mir noch die Eigenheiten der Rückfahrkamera und deren Probleme mit der fest montierten Anhängerkupplung. Danach ließ er mich allein mit dem Auto zurück, sodass ich in Ruhe die Tauglichkeit als Camper testen konnte. Er überließ es mir, mit dem Auto wieder zum Büro zu fahren. Schmunzelnd ergänzte er noch, er könne nach dem Kauf ja auch nicht immer dabei sitzen, wenn ich fahren würde.

Und da stand ich nun.

Das Auto ist toll – soweit ich das überhaupt beurteilen kann. Es hatte keine Kratzer, alle Räder waren wo sie hin gehörten, es fuhr langsam von A nach B, war sauber und hatte sogar die Farbe, die mir im Katalog am besten gefiel. 52.000 km stehen auf der Kilometeranzeige. Angeblich ein Leasingwagen mit super Gebrauchtwagencheck – allein nachprüfen oder beurteilen kann ich nix davon. Der Verkäufer war sympathisch. Mehr Infos habe ich nicht. Die auf dem Verkaufsschild angegebenen 10.000 € Anzahlung habe ich nicht, die monatlichen ausgewiesenen Raten sind zu hoch.

Ich fuhr zurück, parkte diesmal vorwärts vor dem Büro und lieferte den Autoschlüssel ab.

Ich sagte dem Verkäufer, dass mir das Auto gefällt, ich jedoch kein Geld hab. Eine Anzahlung ist nicht drin. Sein Handy klingelte, man erkundigte sich nach dem Berlingo. Dies war nicht der erste und auch nicht der letzte Anruf – die Nachfrage ist riesig.

Was dein erstes Gefühl dir antwortet, das tue.

Heinrich von Kleist

Wir gingen ins Büro und rechneten einige Varianten durch. Ich hatte noch im Kopf, dass ich unbedingt auf eine Gap-Abdeckung bei einer Finanzierung achten wollte. Parallel schieb ich Nachrichten mit Papa hin und her. Stellte Papas fragen, der Händler antwortete geduldig. Wir warten derweil auf die Kreditfreigabe der Bank. Es rufen immer mehr Interessenten an. Bedenkzeit gibt es nicht, aber ich hätte ein 14-tägiges Rücktrittsrecht.

Ich atme tief durch – und stimme zu!

Gehaltsnachweise muss ich nachreichen. Noch vor zwei Stunden hatte ich nicht vor ein Auto zu kaufen und damit auch nix bei. Anmeldung und Kennzeichen könnte das Autohaus machen, braucht dazu aber eine Versicherungsnummer der Autoversicherung, die ich nicht habe. Es ist Samstag, und gleich Feierabend. Bis Montag muss dann alles da sein. Ich unterschreibe Kaufvertrag, Kreditunterlagen …

Mir ist schlecht, habe ich mich doch eben darauf festgelegt, die nächsten Jahre einen Kredit abzuzahlen. Ich sitze im Bus und fahre direkt meine Eltern besuchen. Das war eh locker für den Nachmittag geplant. Unterwegs kaufe ich mir ein Frühstücksbrötchen, es ist schon früher Nachmittag. Mit FFP2-Maske im Gesicht trage ich das Brötchen bis zu meinen Eltern, anstatt es zu essen.

Papa öffnet freudestrahlend die Tür und stellt eine Flasche Sekt kalt. Ich berichte, zeige Mama alle Unterlagen. Dort klebt noch das Post-it drauf, auf dem der Händler mir notiert hat, an was ich zu denken habe.

  • Gehaltsnachweise
  • Versicherungsnummer
  • Mama

So langsam realisiere ich, dass ich ein Auto gekauft habe. Ich esse mein Brötchen und Mama bestätigt, das der Kaufvertrag stimmig ist. Sie schmunzelt über die Notiz des Händlers und schießt eine Anzahlung vor. Das spart Zinsen und senkt die monatliche Rate. Ich freue mich riesig über diese Starthilfe, kam sie doch unerwartet.

Papa holt den Sekt und wir stoßen gemeinsa,m fröhlich auf mein erstes Auto an. Das restliche, mulmige Bauchgefühl geht im Prickeln der Sektbläschen unter und es macht sich Freude breit
– und Erleichterung. Ich kann einen Haken an das Thema machen, die Entscheidung für ein Auto ist gefallen!

Look for your choices, pick the best one, then go with it.

Pat Riley

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